Bildbereich vergrößern

Rems-Murr-Rundschau

Siehe da, die Architektur wird unserer Landschaft die nötigen Zeichen einschreiben

Schorndorf. Jetzt muss die Mutter ran, die Mutter aller Künste, die Architektur. Damit aus der grünen Leistungsschau 2019 entlang der Rems doch noch etwas Großes wird. Und so wie es ausschaut und bereits im Modell zu besichtigen ist, taugen die 16 Stationen vom Ursprung bis zu Mündung nicht einfach als Hingucker. Sie öffnen, umgekehrt, von sich aus neue Horizonte, Sichtweisen, Blickachsen, Gefühlsebenen.

Man wird diese Eingebung im Verlauf der Geschichte der Remstal-Gartenschau eines Tages noch richtig feiern. Die Administratoren der Gartenschau, darunter auch inhaltlich Berufene wie die Baubürgermeister, sitzen zusammen, besprechen sich mit den Hauptberufenen, mit Landschaftsarchitekten. Es reift in der Runde der Gedanke, dass die Natur an der Rems zwar schön ist, aber etwas zutiefst Menschengemachtes auch nicht fehlen darf. Damit sind wir bei gebauten Landmarken, festen Aufenthaltsorten, stabilen Gehäusen für Gedanken und romantische Gefühle.

Der Waiblinger Baubürgermeisterin wird klar, dass sie nicht einfach ein paar befreundete Architekten anrufen kann. Also schreibt sie der Stuttgarter Entwerferin Jorunn Ragnarsdottir ein paar Zeilen, entwirft eine Skizze der Möglichkeiten. Im Gespräch geht es natürlich erst um Häuschen. Weil der Schwabe gern baut. Und, man schaue auf die Wengerterhäusle etwa, die prägen ja nun wirklich das Tal. Zumal es darum ging, speziell am Wegesrand der 80 Kilometer langen Wanderstrecke von Essingen bis Remseck Sichtbares zu errichten. An der Schnittstelle von Natur und Agrikultur, Weinbau, Obstbau. Aber schon wieder Häusle? Nee, sagte man sich. Weiße Kapellen – so lautete ein anderes Brainstorming-Wort. Aber so tiefsinnig ist unsere Gegend auch nicht, als dass sie nur Orte der Einkehr braucht. Und so, mählich, ist aus dem „politischen Gedanken, was könnte uns verbinden“, die berückende Idee geworden, die Architekten vollends zu entfesseln. Nämlich von der Vorgabe, etwas Zweckhaftes zu errichten. Man wollte sie ganz frei machen.

Ragnarsdottir, geboren in Island, erzählte diese kleine Entstehungsgeschichte jetzt zur Eröffnung der Schau mit den Zeichnungen und Modellen der 16 Stationen, aufgebaut im Röhm-Areal. Und zeigt sich selbst ganz beglückt von ihrem Berufsstand. Sie wisse schon, Architekten würden als eitel gelten. „Aber das ist überhaupt nicht so“, weiß sie jetzt wieder gesicherter.

Frei drauflos. Baukunst statt Bedenken

Weil die Resonanz ihrer Kollegen, und es sind wirklich große, bundesweit große Namen darunter, so überwältigend war. Sie hatte sich zum Abtelefonieren 24 Büros auf eine Liste geschrieben. Beim 16. konnte sie bereits aufhören, alle sagten zu. So, als ob da eine ganze Profession aufatmet. Endlich mal nicht über Baufenster und Dämmvorschriften brüten müssen. Frei drauflos. Baukunst statt Länge mal Breite mal Kubikmeter Beton.

Das Heft, das zur Ausstellung erscheint, hat auf dem Titel gleich mal ein Statement stehen: „Das deutsche Wort für Architektur heißt Baukunst.“ Das ist eine Ansage: Ja, wir können das, wir beherrschen es.

Und so sind sie denn geworden, die 16 Entwürfe. Herrlich frei und wild. Die Übersicht hier zeigt die zehn des Verbreitungsgebiets dieser Zeitung. Andernorts geht es teils noch viel wilder zu. Da hat, in Mögglingen, das Büro Brandlhuber, berüchtigte Anti-Architekten, den Bürgern eine Freiheitsstatue zugedacht. Jenen, die seit Jahr und Tag kämpfen gegen die ortsgemeinschaftszerschneidende B 29. Für die Quelle in Essingen haben sich „harris+kurrle“ eine Brücke ausgedacht. Damit dem Ursprung unseres Sehnsuchtsflüssleins überhaupt Prominenz zukommt. Und am Ende, in Remseck, werden drei anmutige Kabinen zum Umziehen den Wanderer, der es geschafft hat, einladen, sich seiner Hüllen zu entledigen. Für den Sprung in den Neckar (Mäckler Architekten).

Schnell war es der Kuratorin klar, dass nicht das Verbindende, das eine Thema, das einende Band herstellen soll, sondern der „baukulturelle Aspekt“ in aller Vielfalt. Und die reicht von der Höhle über die tempelbauende Antike bis zur pilzartigen Platzgestaltung eines Jürgen Mayer H. für Sevilla.

Es gehört zum gelinde Wundersamen, dass auch er, der Winnender, der längst in Berlin ein Großbüro unterhält und die weltweit wichtigste Auszeichung für junge Architekten, den Mies-van-der-Rohe-Preis überreicht bekam, dass Jürgen Mayer H. für seine Heimat etwas macht. Und das, was auf der Waiblinger Schwaneninsel zu liegen kommen soll, ist irritierend schön genug. Allemal. Oben noch Haus mit Satteldach, unten schon Sitz- und Liegefläche für den, der sich dieser Liegenschaft ermächtigt. Alles aus einer Form heraus. Ist es noch Schutz oder Raum, oder nicht eher ein forciertes Ausgesetztwerden? Ein Raum für die Selbstermächtigung des Stadtbürgers?

Ein wahrhafter Aufbruch geht jetzt aus von der plakativen Zusammenschau der Ideen. Alle Büros waren mit Repräsentanten zur Eröffnung vertreten. Schon sprach man in der Runde von Schorndorf, als der Hauptstadt der deutschen Architektur. Zur grünen Leistungsschau 2019 ist eine weiße gekommen. Weiß deshalb, weil sich die Architekturmoderne gerne so gewandet hat. Es gehörte zu den Ursprungsgedanken, die Farbe Weiß als einigendes Element aller 16 Kreationen zu verwenden. Im Großen und Ganzen ist es dies auch der Fall. Aber wiederum sollte nicht durch Vor-Festlegungen das Gedankenfliegenlassen auf dem Boden gehalten werden. Deshalb hat etwa das Hochzeitshaus für Plüderhausen innen eine rote Backsteinwandung. Rot steht für die Liebe.

Wobei, eine richtungsweisende Regung machte die Kuratorin noch aus in einigen der 16 Entwürfe. Es ist der Anbau an eine der besseren deutschen Befindlichkeiten – an die Romantik. Das Gefühl der Erhabenheit, das den Menschen übermannen kann, der sich in die Natur begibt. Jetzt kommt es darauf an, dass die Erhabenheit der Entwürfe auch enthoben ist von Kleingeisterei und Kleinstaaterei. Die tolle Idee einer autofreien B 29 für einen Sonntag ist schon gestorben. Entweicht der Gartenschau-Idee mehr und mehr die Utopie, weil der Mut fehlt? Es sollte also gekämpft werden wenigstens für diese eine Idee: Die Mutter aller Künste soll ran. Sie wird es richten.

zurück zur Übersicht